| 1) Verstandesmäßig kennen Sie die Wahrheit; Sie kennen sie in- und auswendig, von A bis Z. Sie können darüber reden, schreiben und Vorträge halten. Und doch sind Sie unfähig, sie in die Tat umzusetzen.
Warum passiert uns das? Warum gibt es in uns diese schreckliche Kluft, diesen gähnenden Abgrund zwischen Theorie und Praxis, zwischen Verstehen und Praktizieren? Warum sind die meisten von uns so häufig unfähig, das zu tun, wovon sie wissen, daß es wahr und richtig ist? Warum versagen wir immer wieder so kläglich?
Die Antwort auf diese Frage ist in der Tiefe der menschlichen Natur selbst zu suchen. Wir mögen wohl behaupten, daß wir etwas ´wissen´, aber wir wissen es nur mit dem bewußten Denken, mit dem rationalen Verstand. Wir wissen es theoretisch, intellektuell und abstrakt. Nur sollten wir uns klar machen, daß wir als Menschen nicht allein aus bewußtem Denken bestehen. Es gibt einen weiteren Bereich, der viel größer ist, als wir uns eingestehen mögen. Dieser Bereich ist nicht weniger wichtig als der Verstand. Er besteht aus Instinkten, Gefühlen und Willensimpulsen und ist eher unbewußt als bewußt. Dieser größere, tiefere und nicht weniger wichtige Teil bleibt von all unseren rationalen oder intellektuellen Kenntnissen unberührt. Er geht seine eigenen Wege und zieht dabei unser Denken gewissermaßen einfach mit sich, so lautstark dieses auch dagegen protestieren mag.
Wir müssen deshalb erkennen, daß wir nicht gegen unsere Gefühle leben können. Sie sind stärker als der Verstand. Wenn wir praktizieren wollen, was wir als wahr und richtig erkannt haben, dann müssen wir auf die eine oder andere Weise unsere Emotionen zur Mitarbeit bewegen.
2) Die Frage, was Vollkommenes Tun eigentlich kennzeichnet, ist sehr wichtig. Sie führt uns direkt zum Kern von Ethik und zwingt uns, nach deren grundlegenden Prinzipien zu fragen. Wodurch genau werden manche Taten zu "rechten" und andere dagegen zu "schlechten" Taten? Gibt es irgendeinen universal gültigen Prüfstein, mit dessen Hilfe wir sagen können, dies sei richtig, jenes falsch, dies vollkommen, jenes unvollkommen? Wenn es einen solchen Prüfstein gibt – wo ist er zu finden? Wie genau ist er beschaffen? Das sind sehr wichtige und drängende Fragen, die uns alle angehen. Ob wir mögen oder nicht: Wir alle müssen täglich handeln – in jeder Stunde, in fast jeder Minute. Die Frage, wie wir auf die bestmögliche Art handeln, welchen Maßstab wir anlegen und was das bestimmende Gesetz oder Motiv unseres Tuns sein soll, ist daher unumgänglich.
3) Die Tatsache, daß wir den größeren Teil unseres Wachlebens auf den Erwerb unseres Lebensunterhalts verwenden, wird mit Sicherheit stark auf uns selbst zurückwirken. Wahrscheinlich machen wir uns das nicht immer genügend klar. Wenn wir eine Tätigkeit tagein tagaus sieben bis acht Stunden lang ausüben – und dies an fünf Wochentagen, fünfzig Wochen im Jahr –, und wenn wir so zwanzig, dreißig oder vierzig Jahre des Lebens verbringen, dann ist es kaum verwunderlich, wenn Spuren zurückbleiben. Die Rückwirkung unseres Arbeitslebens auf uns selbst ist etwas, das wir beachten und worüber wir nachdenken sollten. Früher konnte man den Beruf eines Menschen an typischen körperlichen Folgen erkennen: Die Hände eines Färbers hatten die Farben aus seinen Bottichen aufgesogen, und der Schneider hatte einen krummen Rücken. Auch heute erkennt man Büroangestellte oft an ihren runden Schultern und ihrer unsportlichen Erscheinung.
Dies sind bloß körperliche Folgen. Die Rückwirkung auf unsere Geistesverfassung ist jedoch stärker. Diese kann noch nachhaltiger beeinträchtigt werden. Nicht immer ist es leicht, solche Wirkungen zu erkennen, und doch gibt es sie ... Jede unserer Handlungen wirkt auf uns zurück, und dadurch verändern wir uns ganz allmählich. Unsere Arbeit oder die ständige Beschäftigung, in der wir Tage, Wochen, Monate, Jahre und Jahrzehnte lang sozusagen bis zum Hals stecken, wird eine gewaltige und vielleicht fürchterliche Wirkung auf unseren Geist haben – oft, ohne daß wir davon wissen.
4) Buddhismus ist etwas für Aktive. Er ist nichts für die geistig Lahmen oder für spirituelle Invaliden. Buddhismus ist für Menschen, die bereit sind, sich anzustrengen und etwas zu erproben. Dabei kann man natürlich auch scheitern. Es mag zehn, zwanzig oder hundertmal mißlingen – doch darum geht es gar nicht so sehr. Entscheidend ist, sich zu bemühen und es überhaupt zu versuchen. Buddhismus ist nichts für Leute, die nur bequem im Sessel sitzen und über die gewaltigen Anstrengungen anderer Menschen lesen wollen.
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