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Vessantara

Flammen der Verwandlung

Eine Einführung in die tantrisch-buddhistische Bilderwelt

252 Seiten, kartoniert, mit Farbtafeln und Schwarz-Weiß-Illustrationen
ISBN 978-3-929447-17-0
15,00 Euro [D und A] / 15,00 CHF [CH]

Kurzbeschreibung

Auf ähnlich einfühlsam-poetische Weise wie in den beiden früheren Bänden führt der Autor hier in die Welt des tantrischen Buddhismus ein. Zunächst erläutert er den spezifisch tantrischen Ansatz und stellt dann verschiedene historische und ahistorische Figuren vor, die im tantrischen Buddhismus von Bedeutung sind. Dazu gehören Prajñaparamita, Padmasambhava, Milarepa, Dakinis, Vajrasattva, Tsongkhapa u.a.m.

Inhaltsverzeichnis

  • Der tantrische Weg
  • Prajñaparamita – das Buch, das eine Gottheit wurde
  • Vajrasattva – Prinz der ursprünglichen Reinheit
  • Esoterischer Buddha und lotosgeborener Guru
  • Die eidgebundenen Gottheiten
  • Am Himmel tanzen
  • Die dunklen Dharma-Armeen
  • Der Zufluchtsbaum und sein zukünftiges Wachstum

Anmerkungen / Zur Schreibung und Aussprache / Bildnachweis / Glossar / Die Buddha-Familien, ihre Symbole und Gottheiten (tabellarische Übersicht) / Literaturhinweise / Register

Autor(en)

Vessantara ist ein erfahrener Meditationslehrer englischer Herkunft, der sich seit vielen Jahren in Theorie und Praxis mit Buddhas und Bodhisattvas beschäftigt.

Leseprobe

(1) DER TANTRISCHE WEG
Weihevoll und friedlich sitzt ein tibetischer Mönch im Halbdunkel seiner Klosterzelle. Nur mühsam lassen sich einzelne Umrisse erkennen. Sobald sich die Augen an das Dämmerlicht gewöhnt haben, bietet sich uns ein Anblick, der so gar nicht zur erhabenen Miene des Mönchs passt. Von dunklen Wandgemälden starren monsterhafte Gestalten, drohend furchtbare Waffen in den Händen schwingend, und von der Decke hängen Kadaver wilder Tiere. Immer mehr grausige und blutige Einzelheiten lassen sich ausmachen. In gebrochenem Sanskrit rezitiert der Lama Mantras und wir vernehmen Worte wie „Tötet! Tötet! Zerstampft! Zerstört!“
Eine junge Frau schiebt ihren Einkaufswagen durch einen amerikanischen Supermarkt, der in ihren Augen zu einem wunderschönen Mandala-Palast wird. Die Frauen an der Kasse und die anderen Kunden sind für sie Göttinnen und Götter. In der Hintergrundmusik hört sie das Mantra ihrer persönlichen Gottheit. In ihrer Lust auf Schokoriegel erkennt sie die Weisheit eines Buddhas.
Auf einem Leichenverbrennungsplatz steht ein Mann mit wildem Blick. Er trägt Knochenschmuck. Aus den Falten seines Gewands zieht er ein Musikinstrument hervor: Es ist aus einem menschlichen Oberschenkelknochen gefertigt. Gebannt um sich blickend stellt er sich vor, sein eigenes Begräbnis abzuhalten. Seine Leiche hat sich in ein Meer von Nektar verwandelt und alle Lebewesen sind geladen, sich daran zu laben. Eine Nonne stellt sich vor, einen jugendlichen Liebhaber in sexueller Vereinigung zu umklammern. Aus einem Menschenschädel gießt sie ihm eine blutrote Flüssigkeit in den Mund. Sie berichtet ihrem spirituellen Lehrer von der erstaunlichen Realität, die diese Phantasie für sie besitzt. Der Guru lobt ihren Fortschritt.

Anhand dieser extremen Beispiele wollte ich zeigen, wie sehr sich die Welt des Tantras von dem unterscheidet, was wir uns gewöhnlich unter Buddhismus vorstellen. Das buddhistische Tantra, auch Vajrayana (sprich: Wadschrajaana) genannt, ist historisch später entstanden, sodass es auf die vorangegangenen Lehr- und Übungssysteme des Buddhismus aufbauen konnte. Sie werden oft grob in frühen Buddhismus und Mahayana unterteilt. Wenn man sich mit dem Tantra oder Vajrayana beschäftigen will, ist es sinnvoll und ratsam, das Fundament, von dem es gewissermaßen getragen wird, nicht zu vernachlässigen, da ansonsten leicht ein verzerrtes Bild entsteht. Den frühen Buddhismus und das Mahayana hier ausführlicher darzustellen würde unseren Rahmen sprengen. Doch werden wir auf die Eigenheiten ihrer Bilderwelt eingehen, da diese für unsere Betrachtung besonders relevant ist und gleichzeitig einen gewissen Einblick vemittelt. Die meisten Darstellungen von Buddhas und Bodhisattvas, die uns vielerorts begegnen, sitzen in Meditationshaltung und strahlen große Ruhe aus. All diese Figuren haben sich aus der Gestalt des historischen Buddhas entwickelt. Sie machen Erleuchtung anschaulich und nachvollziehbar, geben der so schwer vorstellbaren Erfahrung eine körperliche Gestalt und bringen sie uns auf diese Weise näher. Sie strahlen große Liebe (Sanskrit maha-maitri) und großes Mitgefühl (maha-karuna) aus, die in Verbindung mit transzendenter Weisheit der vollkommene Ausdruck von Erleuchtung sind.

2) ESOTERISCHER BUDDHA UND LOTOSGEBORENER GURU
Was Siddhartha Gautama erreicht hat, erfüllt Buddhisten seit zweitausendfünfhundert Jahren mit Ehrfurcht. Diese außerordentliche Wertschätzung beruht nicht allein auf der Tatsache, dass er Erleuchtung erlangt hat, sondern dass ihm dies ohne die Hilfe eines Lehrers gelungen war. (Er hat zwar von Arada Kalama und Udraka Ramaputra meditieren gelernt, aber keiner der beiden konnte ihm zeigen, wie man sich vom Leiden befreit. Das hat er in der Tat allein entdeckt.) In Anbetracht der nicht geringen Schwierigkeiten, die der Buddha dabei überwinden musste, wird im Buddhismus dem spirituellen Lehrer außerordentlicher Wert beigelegt.
Seit dem historischen Buddha hat sich der Buddhismus weiterentwickelt. Es bildeten sich die drei yanas oder Fahrzeuge heraus, und auch die Rolle und Bedeutung von spirituellen Lehrern hat sich gewandelt. In den ersten beiden yanas mag der Lehrer derjenige sein, dem die Aufgabe zukommt, uns in den Buddha-Weg einzuweisen, oder er ist einfach ein kalyana-mitra, ein erfahrenerer spiritueller Freund. Ein kalyana-mitra ist wie ein älteres Dharma-Geschwister, das uns hilft, berät und ermutigt.
Im Vajrayana verwandelt sich der Lehrer in den vajra-Guru. Die Beziehung zu einem tantrischen Lehrer ist ein samaya, ein Bündnis, das mindestens so bindend ist wie das Bündnis zwischen der Meditierenden und der Buddha- oder Bodhisattvafigur, die sie visualisiert. Im Tantra sagt man, alles Heil komme vom Guru. Diese Beziehung ist am ehesten mit dem Verhältnis eines Arztes zu einem Patienten vergleichbar, der verzweifelt Heilung sucht und deshalb der Behandlungsmethode des Arztes völlig vertraut. Der Guru heißt unter anderem deshalb vajra-Guru, weil im Tantra alles vajra ist – alles gilt als Ausdruck der unaussprechlichen letzten Wirklichkeit, dessen hauptsächliches tantrisches Symbol der vajra ist. Die Vorsilbe vajra deutet an, dass der Guru die letzte Wirklichkeit verkörpert. Es spielt keine Rolle, ob er formale Dharma-Unterweisungen gibt oder nicht – er ist schlichtweg höchste Wirklichkeit. Sein Wesen und seine Lebensweise sind Unterweisung. Außerdem können die Lehrmethoden des tantrischen Gurus bisweilen wie Blitzschläge in die Schüler fahren. Der vajra-Guru ist spirituell hemmungslos. Er ist ein Lehrer, der vor nichts Halt macht, um seine in Samsara schlafwandelnden Schüler aufzuwecken. Wie im Zen gibt es auch im Tantra viele Geschichten von Gurus, die drastische Methoden benutzen, um zu ihren Schülern „durchzudringen“.


(3) WER ODER WAS IST EINE DAKINI?
Dies ist eine schwer zu beantwortende Frage, denn mit weltlicher Logik ist eine dakini absolut nicht zu fassen. Laut Sanskrit-Wörterbuch ist es eine Gattung fleischfressender Dämoninnen. Die tibetische Übersetzung khandroma bedeutet „am Himmel Wandelnde“. Manchmal findet man auch die Bezeichnung „Himmelstänzerin“. Die männlichen Gegenstücke, die dakas, spielen im Tantra eine relativ unbedeutende Rolle. Die Stellung der dakinis hingegen ist zentral.
Statt sich der dakini begrifflich zu nähern, schauen wir uns lieber an, in welchen Situationen sie auftaucht. Wie erwähnt stellt sie die esoterische Sangha-Zuflucht dar, das heißt, ihr Verhältnis zum Guru kann man mit dem Verhältnis des Sanghas zum Buddha vergleichen. Der Sangha ist die Gemeinschaft all derer, die vom Buddha lernen, wie man den Pfad zur Erleuchtung geht. Er versammelt sich so oft wie möglich um den Buddha – um von ihm zu lernen und aus bloßem Vergnügen an seiner Gegenwart. Auf der esoterischen Ebene hieße das, dass dakinis in unmittelbarer Nähe des vajra-Gurus zu finden sind.
Das ist in der Tat der Fall. Wo der vajra-Guru ist, sind die dakinis nicht weit. Doch ist der Aufenthaltsort des tantrischen Gurus – des „Donnerkeil-Gurus“, der vor nichts zurückschreckt, um uns höchste Wirklichkeit zu offenbaren – nicht leicht auszumachen. Naropa beispielsweise verbrachte viel Zeit mit der Suche nach seinem Guru Tilopa. Den Guru findet man oft an seltsamen oder Furcht erregenden Orten: auf einer Insel inmitten eines Giftsees wie Kukkuripa, einer von Marpas Gurus, in den Tiefen des Dschungels wie Naropa oder am häufigsten auf Leichenverbrennungsplätzen. An solchen Orten hält sich der vajra-Guru auf und dort sind auch die dakinis anzutreffen. Padmasambhava brachte beispielsweise viele Jahre meditierend auf Leichenverbrennungsplätzen zu. (Sie trugen Namen wie Leichenberge oder Schlaf-auf-den-geheimnisvollen-Wegen-der-Glückseligkeit.) An jedem dieser Orte feierte er mit den dakinis religiöse Feste, tanzte mit ihnen und unterwies sie im Dharma.
Die Begegnung mit einer dakini ist keine einfache Sache. Sie ist nicht zahm, sondern wild. Um sie zu finden, muss man die Sicherheit der eigenen Ansichten und Vorstellungen hinter sich lassen. Man muss die geordnete, zivilisierte Welt mit ihren weltlichen Vorstellungen aufgeben. Man muss sich in das Unbekannte hinauswagen, in das Unerforschte und Unvorstellbare. ...